1. Wann bzw. wie sind Sie um Schreiben gekommen?

In der dritten oder vierten Klasse. Es waren ein paar Gedichte mit schönen Endreimen sowie zwei drei Fabeln. An zwei Zeilen kann ich mich noch erinnern, ich hab sie vor ein paar Jahren als Selbstzitat benutzt!
(Sie klingen zwar naiv und bescheuert und die meisten konnten sich nicht denken, wie man heute so schreiben kann: "Herbst er ist ein Maler / macht auch die Bäume kahler ...", nur daß diese Zeilen als Exemplifizierung einer posterhafte Naturwahrnehmung gedacht sind, darauf ist kaum jemand gekommen.)
Danach entstanden eher sporadisch - nennen wir sie - Lebens- & Familienbewältigungstexte;
mit einer gewissen Regelmäßigkeit schreibe ich seit der elften Klasse, also seit ich 17 bin ...
So wie ich mich erinnere hat ein Gedicht von Nietzsche, usw. "Vereinsamt" den Anstoß gegeben.

Dazwischen gibt es aber immer wieder Wochen, manchmal Monate, in denen ich nichts schreibe, bzw. nicht dazu komme, mich von allen möglichen Dingen rausbringen lasse ... Nicht selten schreibe ich - und das heißt vor allem das Überarbeiten angefangener Texte - in Momenten unausweichlicher Langeweile und nicht möglicher Beteiligung an, irgendwelchen, Dingen des Lebens.


2.
- Wer bzw. was hat Sie in Ihrem Leben beeinflußt (Lieblingsautoren)?
& 4.
- Wer hat sie in ihrem Leben (ja wieviel hab ich denn?) als Schriftsteller beeinflußt? Welche Autoren lesen Sie s e l b e r gerne?

Im Leben?
Bewußt: Mein Großvater mütterlicherseits ... einer meiner Dozenten, Peter Motzan, ein Redakteur der deutschsprachigen Literaturzeitschrift Rumäniens, Gerhardt Csejka ... und noch ein paar ältere Leute, die eine etwas ungewöhnlichere Biographie hatten.

Das Lesen hatte, seit meinen Schreibanfängen und bis vor einigen Jahren, einen großen Stellenwert, und mündete ab einem bestimmten Zeitpunkt fast zwangsweise im Schreibe. Es fing an mit Karl May Büchern, irgendwo im mittleren zweistelligen Bereich, dann kam Jerry Cottons oder Edgar Wallace, und danach Hamlet, Deutsche Klassik oder Balzac, Zola ... das war in der siebenten, achten Klasse.
Im Gymnasium folgten nach einer kurzen Periode der Wichsliteratur (Simmel & Robbins) die Autoren der Textsammlungen, die alljährlich das Schulbuch ergänzten. Die nachhaltigste Wirkung zeigten die bedeutungsschwangeren poetischen Texte der 50-er, 60-er Jahre, die dunklen, raunenden DichterInnen, kurz, alles was in der Nachfolge Gadamerscher Interpretationsexerzitien die Fachlehrerschaft in der Regel - auch hier & heute noch - als die wahre Literatur auffaßt & präsentiert ... In der Adoleszenz neigt man ja dazu sich selber in so "hohen Tiefsinnigkeiten" und Welthaltigkeiten denkerisch zu begreifen und bewegen.
Gegen Ende dieser für meine Eltern und Lehrer sehr unzufriedenstellenden Zeit waren es Nietzsche, dann wieder Grass, Handtke, und vielleicht sogar Remarque, am meisten wohl Dürrenmatt und Enzensberger ... Nochmal ein paar Jahre später, während er Studentenzeit die neue Innerlichkeit, Jürgen Becker, Volker Braun, Peter Rühmkorff und wiederum Enzensberger.
Im Studium dann wurde man durch die Epochen geschleust und musste oder sollte alles gelesen haben.
Ab der Zeit des Studiums konnte ich auch den Einfluß rumäniendeutscher Autoren wie Bossert, Söllner oder Eike und einiger rumänischer Schriftstellerkollegen und -freunde erkennen.
Für die letzten zehn Jahre verweise ich auf meine "Sogenannten Stuttgarter Variationen" in denen ich den poetischen Offenbarungseid leiste. Es sind poetische Referenz- & Reverenzparodien zu Autoren, deren Einfluss ich mich weder entziehen konnte noch wollte, Arno Holz, August Stramm, Gottfried Benn, Peter Rühmkorff und vor allem Arno Schmid. Auch einige südamerikanische Autoren, die ich in deutscher oder rumänischer Übersetzung in Zeitschriften und Anthologien lesen konnte, z.B. Huidobro, haben die eine oder andere Spur hinterlassen, eher als englisch- oder französischsprachige.
Es handelt sich aber meistens um einzelne Texte und weniger um die Aneignung eines Oeuvres.
Eine nicht geringe Rolle haben dann auch noch diverse Musiker und Komponisten gespielt, - ganz im Gegensatz zur bildenden Kunst oder Kino. Beethoven ist immer noch einer meiner Lieblingskomponisten, Schostakowitsch, dann Schnittke oder Morton Feldmann eher als Cage oder Berio sowie ein paar Jazzmusiker wie Michel Portal, Michel Godard, Wolfgang Puschnigg, John Lurie, Mingus, Archie Shepp ... Mein Gedächtnis lässt mich bei so was häufig im Stich.

Ich weiß nicht genau, ob das Lesen mich vor einer noch größeren Neurotisierung oder psychischen Schäden bewahrt hat. Die Sachen, die für mich unerklärlich waren, ob in der Familie oder Schule, im Alltag wie im politischen System, waren, auch wenn sie aus andern Zeiten stammten, in Sprache gefaßt, einem Verstehen zugänglich gemacht. Ich hatte immer den Eindruck, als Außenseiter dazustehen und daß alles was mich betraf keinerlei Berechtigung zu haben schien ... Dann beginnst du zu lesen, auch weil du nichts anderes tun kannst, und diese gelesenen Sachen haben glücklicherweise doch die Funktion, daß sie das, was das Unerklärliche der Realität bzw. deiner Lebensumgebung ausmacht, relativieren. Beim Lesen merkte ich, ich bin nicht der Einzige, dem es widerfährt. Da wird alles greifbarer und auch leichter zu durchschauen, wenn auch nicht zu bewältigen. Es nimmt ein bisschen was von der Belastung.
So hat, glaube ich, Literatur und Lesen immer auch eine große Erklärungsfunktion gehabt.
Obwohl man dazu tendiert, durch das Angelesene noch nihilistischer zu werden, im entsprechenden Alter; auf Dauer vielleicht skeptischer oder zynischer.
Während der Vorbereitung meiner Magisterarbeit stieß ich auf einen Satz von Enzensberger, der es auf den Punkt bringt: "An Eurer Sprache sollt Ihr Euch erkennen."
Irgendwann lernt man dann zu erkennen, welche Absichten, Manipulationen und Instrumentalisierungen mit dem Sprachgebrauch verbunden sein können. Vor allem in einem so repressiven System wie im damaligen Rumänien. Durch diese Umstände entwickelte sich ein anderes, differenzierteres Bewusstsein für Sprache. Hinzu kommt auch, daß ich eine gewisse Tendenz zum Herumspielen und Parodieren habe, die die Autorität des Kanons oder bestimmter Trends zum Beispiel untergraben, sich den Attitüden seriös weltanschaulich literarischer Repräsentanz - manchmal recht burschikos - entziehen. Dazu kommt noch, daß man in einem Zeitraum von sagen wir, 10 bis 15 Jahren bewußten Umgang mit Literatur 4,5 sanktionierte und zeitweilig dominate Strömungen konfrontiert wird, die sich einander negieren oder ignorieren, ablösen, abhalftern. Das unterhöhlt dann schon den Glauben, an die Validität der Poetiken. Alles zusammen hat mich letztendlich - so wie ich es sehe - davon abgehalten, dass ich in einen nur experimentellen, selbstreferentiellen, post-dadaistischen oder aprés-avantgardistischen und so weiter Sprachstil hineingeriet, der dann kaum noch irgendeinen Bezug zur Realität, bis auf die sogenannte eigen-sprachliche zu praktizieren geneigt ist ... Und dafür bin in manchen Fällen nicht phantasiebegabt genug, die - etwas anders geartete - Mimesis geltender Theorien der Naturwissenschaften oder Sprachphilospophie im Text genußreich nachzuvollziehen; auch wenn ich immer wieder mal glaube, das betreffende Theoriesubstrat zu verstehen. Auf mich wirken die Theorien im Original oft interessanter & faszinierender als die - schnell methodisch werdenden - Beispiele ihrer Umsetzung, inklusive Gertrude oder andere, wo ich nach einigen Seiten genug habe. Ich verstoße somit häufiger gegen die Gesetze des literarischen Selbst-Schutzes, wenn ich sage, dass mich so etwas langweilt ...

3. Lieblingsautoren?

Manchmal mußte ich feststellen, dass ich "heute" das was mir vor zehn, zwanzig Jahren sehr gut gefallen hat, kaum noch genießen kann und mich frage, was zum Kuckuck mich damals so beeindruckt hat; der letzte Fall war der gute Boris Vian.
Neben den o.g. gibt es noch eine Reihe von Autoren, die ich gern oder mit Begeisterung gelesen habe und die ich immer noch sehr schätze, ohne daß ihre Lektüre einen stilistischen Niederschlag im eigen Schreiben gefunden hätte: Margueritte Yourcenar, Diderot, Stendhal, Musil, Moliere, Shakespeare, Eliot, Attila Jozsef, Chirbes, György Konrad, E.T.A. Hoffmann, Hebbel, Caragiale, Ionesco, Mircea Cartarescu, Matei Visniec, Allejo Carpentier, Nestroy, Marlene Haushofer, Werner Koffler, Alfred Kolleritsch, überhaupt die mit nicht ganz so durchschlagendem Erfolg gesegneten Österreicher... von den jüngeren AutorInnen, vor allem Urs Stolterfoth, Barabra Köhler, zum Teil Durs Grünbein - ganz im Gegensatz zu Raul Schrott oder Thomas Kling -, Namen, die mir jetzt, auf die Schnelle, einfallen.

5. Warum schreibst Du? Für wen schreibst du?

Bei der Frage bin ich immer ein bisschen skeptisch, welchen Echtheits- oder Realitätswert die Antworten haben, inwieweit man sich wirklich bewusst sein kann.
Wenn man sich jetzt - oder ab einem gewissen Alter und nach einer bestimmten Zeit, die man schon geschrieben hat - diese Frage stellt oder gestellt bekommt, könnte und sollte man ja wissen, was man tut oder weshalb man es tut. Ob man sich dabei dennoch was vormacht oder sich dazu verleiten läßt, die Antworten zu veredeln? Es sind Fragen, die oft mit einer Portion Selbststilisierung beantwortet werden wobei man sich in die Nähe sanktionierter Meinungen oder großer Namen rückt, hochästhetischer Ideen usw., und da hab ich immer meine Zweifel, zumindest was die Anfänge betrifft.
Seit etwa 10 Jahren bin ich der Ansicht, dass in jedem Anfang ein epigonaler Moment steckt.
Es mag von Fall zu Fall verschieden sein, aber entweder wird er von einem bestimmten Autor ausgelöst, durch ein Leseerlebnis, eine Begegnung bei einer Lesung oder durch eine Anthologie, es kann auch nur ein einzelnen Text sein, der irgendetwas auslöst, einen gewissen - nicht stilistischen Nachahmungswunsch- sondern eher etwas diffuser, dass man auch so etwas machen möchte, Kunst, Literatur, Musik ... Genauso wie andere von berühmten Fußball- oder Tennsispielern "erweckt" werden, nur das Kunst-Leistungen schwer definierbar und faßbar sind, wie auf dcr anderen Seite ein egal wie geartetes Produkt durch irgendwelche bezugnehmende Äußerungen legitimierbar wird ... Es sieht so aus, dass dieser epigonale Moment sich bis hin zu Kleidung, Auftreten, Lebensstil auswirkt, anders gesagt: die meisten versuchen ein Leben lang etwas darzustellen, was sie nie gewesen sind.
Nochmal etwas literaturhistorischer: Ich habe den Eindruck, dass bis zu einem gewissen Zeitpunkt die Literatur, die das Epigonale ausgelöst hat, noch Primärliteratur war und ab einem gewissen Zeitpunkt und literarischen Entwicklung - etwa in der Zwischenkriegszeit, eher aber seit den sechziger, siebziger Jahren - das, was diesen epigonalen Moment auslöst, oft (nur noch) literaturtheoretische Texte sind, die akademisch kanonisierten Diskurse. Vielleicht sollte man es auch neutraler sehn (können): Textmixturen nach Rezept statt großen Persönlichkeitszeugnissen.
Pauschal zusammengefaßt: Man versucht in dem Bereich etwas zu machen, der einem am meisten zusagt, aber überall gibt es bereits Ketten von Vorläufern, Vordenkern, Vormachern, was gewöhnlich öfters dazu führt, sich auf diese -Weg ebnend - zu berufen als den eignen Beitrag als sinnlos, hinfällig oder nur unnötig anzusehen.
Das ist es auch, was in vielen Fällen verhindert, dem auf die Spur zu kommen (entdecken wär eigentlich schon zuviel gesagt), was das Eigene sein könnte.
Jedenfalls bin ich auch darauf gekommen, musste ich mir eingestehen, dass mein Schreiben in der Praxis auch viel mit Langeweile zu tun hat, dem abgeschnitten sein vom Leben, in Anlehnung an - glaube ich - Paul Nizon formuliert.
Schreiben wird so in meinem Fall auch ein Zeit- bzw.- Leerebewältigungsphänomen.
Aber nicht ein Hobby, dafür ist es dann doch zu mühselig, wenn man einen Text 30, 40, 50mal immer wieder durchgeht, ändert, umschreibt.
Andererseits würde ich (in dem Fall jetzt) Schreiben als ein epistemologisches Reservat bezeichnen. Ich traue der Literatur nicht zu noch sinnstiftend zu wirken, höchstens im privaten Rahmen, man erreicht bei weitem nicht so viel, wie man noch bis in die 70er Jahren glaubte.

In dem Moment, wenn ich über den Gedichten sitze, interessiert es mich wenig, ob, wen oder was ich hinterher damit erreiche. Nicht so, daß ich es darauf anlege, nicht verstanden zu werden - für manche sind sie zu direkt, für andere wiederum zu kompliziert ... Nur, sobald dieser Vorgang abgeschlossen ist, wie auch in dem Selbstverständnis, das einen auch davor umtreibt, ist es eine ganz andere Situation. Man möchte schon, dass das Geschriebene Anklang findet, dass man damit irgendeine mittelkleine Menschenmenge erreicht, und dass es in irgendeiner Form aus der Anonymität herausgeht. Aber ich kann nicht sagen weshalb. Hat man ihnen etwas mitzuteilen? Will man sie unterhalten, aufklären oder ansprechen?
Dann wäre es mir am liebsten, ich könnte mir die Leute aussuchen, die mich gut finden. Im Alltag passiert es immer wieder, daß ich einige meiner Kritiker, die meiner Schreibweise etwas reservierter gegenüberstehen - bei aller Reserviertheit, die ich wiederum ihren Standpunkt gegenüber habe - als kompetenter, belesener, denkgewandter erachte, als welche, die sich gehörig positiv dazu äußern.


6. Wo möchtest Sie gerne leben? Wie finden Sie Stuttgart?

Das weiß ich inzwischen auch nicht mehr. Ich kenne auch nicht viele andere Länder. Dreißig Jahre durfte ich nicht reisen, jetzt ist das auch zunehmend eine finanzielle Frage. Etwas gepflegt mitteleuropäisches mit Währungsgefälle könnte ich mir vorstellen, z.B. Slowenien.
Süd und Mittelamerika fasziniert mich, obwohl ich aus finanziellen wie vegetativen Gründen nicht glaube, noch jemals hinzukommen.
Die ideale Lebensweise wäre jedenfalls eine gepflegt gutbürgerliche. Ich denke, diese hat inzwischen mehr Vorzüge, sie sagt mir mehr zu als die modern designten Lebensweise, der kontemporane Baustil, Wohn- oder Essensstil.
Nur ist das immer eine finanzielle Frage. Das Stuttgart so schlecht sei, glaube ich inzwischen zwar nicht mehr, aber wenn ich am Anfang einen Führerschein oder Geld gehabt hätte, wäre ich wahrscheinlich weggezogen.
Am besten und ehesten könnte ich mir italienische oder französische Landschaften oder holländische Städte als Wohnort vorstellen, oder Luxemburg!
Luxemburg, weil die dortige Sprache dem Dialekt, den wir zuhause in Rumänien sprachen am meisten ähnelt und mich dort habe zum erstenmal nostalgische Gefühle überkamen. In Italien habe ich den Westen entdeckt, d.h. mich aufhalten können, ohne ständig meine Anwesenheit erklären oder rechtfertigen zu müssen; da war ich ja auch Tourist.
Hier bekomme ich nicht gerade selten die ganze Palette von Ressentiments über besondere Vorsichten bis zum dich geistig ignorierenden, hyperkorrekten Überengagement zu spüren. Oder man wird nur auf Landsmannschaften festgelegt.
Meist ist es aber nur so, daß diese sonderbare (Entschuldigung: kollektive) Identität, die man nun mal hat, weder begriffen noch einem konzediert wird. Aber damit keine allzugroßen Mißverständnisse aufkommen, bis auf die - weniger globale als internationale Gegebenheiten betreffende - Auffassungsgabe, agiert die andere Seite, die der Betroffenen, in ihrem etwas alternativloseren & weniger aufgeklärten Spektrum auch nicht anders. Sie reklamiert nur, mehr oder weniger bewußt, eine andere Art der Interessenvertretung.
Wo ich Leben möchte, ließe sich so beantworten: Überall wo ich etwas leichter etwas mehr Geld verdienen würde, funktionierender Institutionen eine Normalität des Alltags ermöglichen und die Landschaft einigermaßen stimmt, d.h. nicht allzu flach ist. Ideal wird es, wenn ich dann auch mit der betreffenden Sprache schon in Berührung gekommen bin.

Zu Stuttgart:
Mit Stuttgart bin ich viel zufriedener als mit meiner Lebenssituation im allgemeinen. Den meisten so ostentativen wie demonstrativen Stuttgart Kritikern würde ich einen mehrwöchigen Zwangsaufenthalt in Düsseldorf verordnen!
Nur inzwischen fehlt es mir - trotz eines ziemlich weiten, fluktuierenden Bekanntenkreises - an Begegnungen & Kontakten mit Leuten, deren Beschäftigungshorizont sowie Interesse ein Klima der Anregung & Auseinandersetzung aufrecht erhält. Nicht dass es diese in Stuttgart nicht gäbe, aber entweder genügen sie sich selber oder sie haben schon den Rückzug ins Private angetreten, so sie nicht von Mittelmäßigeren an den Rand gedrängt worden sind.
So habe ich in letzter Zeit öfters den Eindruck, es wäre an der Zeit, weiterzuziehen. Bloß wie? Erstens würde es heißen, drei Sachen auf einmal zu bewältigen, von denen ich kaum einen allein geschafft habe: Job, Wohnung und Kontakte suchen & finden und dann stellt sich noch die Frage: wohin?
Ich kann mir nicht vorstellen in Berlin zu leben. Köln auch nicht mehr, da gibt es zu viele Privatfernsehanstaltler & das entsprechende Niveau, besonders was die Lebenshaltungskosten betrifft. Bliebe eventuell München oder Frankfurt ... oder doch das überschaubarere Tübingen?


7. Welches ihrer eigenen Werke mögen Sie am liebsten?

Unter anderen das umgesetzte Gedicht, COCKTAILBARBODYX. Von den früheren Gedichten: Streiflichter, Fieber, Requiem, Gedicht am Morgen oder Eisberg (trotz eines gewissen Pathos) sowie der Blues von meinem Großvater, mein sog. Touristengedicht; von den neueren noch: EINE KUNSTPARTIE, TIEF IM SEPTEMBER, BRUNCHING BRACHET, WEIHNACHTSMARKT, DAS SPORKEL-SYNDROM, JAP oder BASILIKUM LAUDE.
Dazu noch Texte wie zB. SCHORFRECHT , DER PLURALIS FICIS oder NOMADE IM GLASHAUS, die zu den humoristisch-grotesken Porsatücken gehören, die ich unter Pseudonym verfasse, wie auch die (Funk) Hörpossen & die ich eingentlich als gehobenes Kunsthandwerk ansehe und nicht zuletzt, ein poetischer Text, den ich für & auf "La Plapper Papp", ein Stuttgarter Puppen- & Marionettentheater geschrieben habe, der aber sonst nirgendwo reinpaßt.


8. Arbeiten sie momentan an einem Gedicht/buch?

Kaum. Momentan bin ich gezwungen (auch noch) dafür zu arbeiten kaum Geld zu haben.
Und bei meiner Lebensweise, Zeiteinteilung u.a.m. klappt es mit dem Arbeiten an den Gedichten nicht besonders gut. Ich bin seit einem Jahr mit & in mehreren Projekten steckengeblieben, ein Teil davon scheint mir auch nicht unbedingt "nötig" zu sein oder zufriedenstellend gelingen zu wollen; bei andern verhält es sich so: je klarer ich weiß, welches die Anlage & Realisierungsweise der betreffenden Texte sein soll, desto schwerer kommen brauchbare Zeilen, die nicht nur artifiziell, gewollt oder programmatisch-trocken wirken, zustande.


9. Was ist Ihre Vorstellung von Unglück? Wovor fürchten Sie sich?

Das ist relativ einfach zu beantworten, obwohl ich mich in letzter Zeit frage, ob ich mich am meisten vor dem Tod fürchte oder vor der Angst vor dem Tod. Angst dürfte meine primäre Welterfahrung sein, wobei mir Sprache und Schreiben Erklärungsmuster bieten und diese Angst etwas zu kompensieren. In dem Moment, da man Erklärungsmuster findet, hat man die Illusion, etwas unternehmen zu können. Aber auf emotionaler Basis wird die Angst von nichts aufgehoben, von keiner Weltanschauung, keiner Religion oder Psychologischen Schule, keiner Lebensweise.
Ich glaube, dass jede Angst von einer Todesangst ausgeht oder dahin mündet. Die Angst nicht vor dem Unbegreiflichen sondern durch das Unbegreifbare. Das ist nicht die Angst vor dem Sterben, sondern dass der Tod der Anfang des größten Unbekannten sein könnte, auch wenn von der Vernunft her das meiste dagegen spricht. Wobei ich befürchte, dass der Moment des Sterbens ein sehr qualvoller werden könnte, vor lauter Angst; auch wenn ich im eigenen Interesse hoffe, dass man dann etwas gelöster wird ... Eine Zeile aus der Zeit des Abiturs fällt mir ein: "Leben ist die Daseinsform des Todes." Daran ließe sich auch die ganze Problematik von Individualität und vorgeprägtem Denken exemplifizieren!


10. Was ist Ihre Vorstellung von Glück

Ich weiß es nicht. Ich habe kaum die Tendenz, glücklich zu sein, zumindest nicht für längere Zeit. Das sind ein paar Momente, die von einem guten Wein, einer guten Zigarre ausgelöst werden, oder wenn man verliebt ist, manchmal Natur ... häufiger Kutur(elles) .
Ich habe eher die Art, mich durch das, was unerreichbar ist oder momentan fehlt, unglücklich & unzufrieden machen zu lassen.
Mit zunehmendem Alter, den Wiederholungen der Erlebnisse, auch bedingt durch ausbleibenden Erfolg und finanziellen Lebensschwierigkeiten, den endogenen oder exogenen Abnutzungserscheinungen, verbunden mit einem im Vergleich zu andern Lebenswelten (noch) viel größeren Maß an Abgesichertheit im Gewöhnlichen, wird es immer schwieriger, glücklich zu werden. Ab und zu schimmert noch eine gewisse ironische Distanz dazu auf, aber in meinem Fall zu wenig Gelassenheit oder Konsequenz.

11. Zum vorgetragenen Gedicht: Warum wurde dieses Gedicht ausgewählt? Möchten Sie noch etwas spezielles zu dem Gedicht sagen?

Nein.


ENDE

* Diese überarbeitet Stellungnahme beruht auf einem Interview das Domink Mutschler im Zuge eines Gedicht-Videoclip-Projekts der FH Druck, Medien und Verlagswesen im Sommer 2000 führte.