DER BLUES VON MEINEM GROSSVATER
 

geboren 1892. wie marschall Tito.
ein österreichisch-ungarisches dorf
um die jahrhundertwende in Siebenbürgen
mein großvater fällt bäume
mit dem sohn des Bulibaschas
und betrachtet den himmel
durch die löcher in der krone.
                               Kakanischer krieg
die glorreiche zeit der museumsuniformen
volksweisheiten setzen sich durch:
von nun an wird die suppe heiß gegessen
- mein großvater bei den gebirgsjägern in der Tatra.
                     aus der uniform ins ehebett
drei kleine töchter
eine kleine ländliche wirtschaft
eine kleine ländliche idylle
und jeden sonntag kirche
und noch ein weltkrieg.
                        danach die neue zeit
mein großvater wird etwas enteignet
doch trinkt er jeden morgen sein glas wein
und verträgt auch sonst so manches.
enkel erscheinen während der ferien
die gesunde landluft
sie füttern am abend die schweine
er krault den hund
dann wird er mit 250 Lei pensioniert.
                     als pensionist in den obstgärten
als dorfältester und fleißigster der LPG
in der zeitung.
spät noch die diamantene hochzeit
- kurz darauf ist er witwer
                            in den achtzigern und gefaßt
zum erstenmal im krankenhaus. Pankreatitis!
sechs tage glukose und am siebenten
stehn zigeuner an seinem bett.
er erzählt ihnen von den kameraden
von den töchtern und enkeln
vom feld und vom wein;
er hält seinen einzug in die legende.
sie nicken und rufen beim abschied: kaija mo
mein großvater erhält beruhigungsspritzen
und kommt noch einmal davon.
                             nach einigen wochen
ist er wieder auf den beinen
trinkt jeden morgen sein glas wein
betrachtet den himmel
durch die löcher in der zeitung
und hat noch sämtliche zähne im mund!
das ist der blues
                  von meinem großvater
geboren 1892... wie marschall Tito.

1980, aus "Eisberg" 1990
 STREIFLICHTER
 

einer der ersten frühlingstage. die erde weich und satt.
zwei damen gingen vorüber
mit wohlgepflegtem pudel. sie unterhielten sich
über Bartok Béla. es war kühl
er trug ein samtenes leibchen
und ich lehnte wartend        an einem morschen zaun
auf der strade amurg.                  fern von hier

fuhren busse mit eingedrückten türen
wehten im wind die fahnen der schichtarbeiter
gab es lange schlangen     vor den kinosälen
worin farbige geschichten gesponnen wurden
bis zur perfekten form von zuckerwatte...
an einem morschen zaun lehnte ich
und durch dieses dösende randviertel
kam don alfonso hoch zu roß
ritt auf abenteuer los.

überall standen zigeunerinnen.
in ihren händen läuteten schneeglöckchen
die gatten in scharen heran.
da schrieb ich gerade mein zweites gedicht
muttern deckte den tisch: "zum achten märz zum tag der frauen
                           erblühen heute frisch die auen"
in der schule lernten wir über die welt
den kosmos und die magnetischen kräfte
und ich erinnere mich an die unwiderstehliche
anziehungskraft
der gelben fenster     bei anbruch der nacht -
so als würde dahinter     in großen brutkästen
die einsamkeit vergoldet.

 über den bergen verblutete die sonne
burschen umarmten ausgestopfte bären
oder grinsten aus fernsehramen
ihre liebste an
die sich wundleckte    an buntem speiseis.

!oh unsere liebe war süß und schmolz auf der zunge
ohne den winter zu überstehn
in diesem verkalkten luftkurort
wo wir uns umarmten allabendlich
im schein der untergehenden sonne fortwährend umarmten
bis der fotograf den rotfilter abschraubte
und uns fortrug        in die dunkelkammer.

- unsere liebe war süß - dachte ich während der ferien
rauch aufsteigend aus den gärten rötete meine augen
ein hund verfolgte mich knurrend durch den weinberg
derweil wusch großmuttern sich die füße    in sorge
(die dorfjugend pflegte mich regelmäßig zu verprügeln)
großvater las in der bibel
mit der nickelbrille vom urgroßvater
und wenn ich sicher war              sie schlafen
schlich ich in den keller.

ich brannte eine zigarette an.
die bewegung mit der ich das streichholz anriß
pflanzte sich fort. der zaun knarrte.
möwen flogen auf. in gedanken flog ich hinterher
sah mich aus der vogelperspektive mit einem schwimmreifen
am strand           versuchte ich meine blöße zu bedecken.
die anderen kinder bauten sandburgen.
 unsere vorfahren kamen vom meeresboden
stiegen durchs mittelalter
bauten eine gotische kirche nach jedem jahrhundert.
darin spürten wir die stimmen der singenden eltern
- eine schwere kalte regenhaut - auf unseren schultern:
ein feste burg. die orgel sandte pfeile gen himmel...
die konfirmation war beendet. limousinen aus dem westen
fuhren vor. wir stiegen ein. langhaarige kousins
spielten kasetten ab: imagin there's no heaven
ritzten wir in die steine der ringmauer.

es war einer der ersten frühlingstage
die erde noch weich und dunkel
ich lehnte an einem morschen zaun
auf der strade amurg
zwei damen gingen vorüber
mit pudel
es war kühl
hinter ihnen tat sich ein schwarzes loch auf.

1982-83, EISBERG